Die Nixe vom Neusiedlersee
In alten Zeiten, als noch das muntere Völklein der Nixen und Wasserfeen in den spiegelnden Fluten des Neusiedler Sees sein Spiel trieb und sich hie und da unvermutet auch den Augen der Menschen zeigte, wohnte am Ufer des Sees ein alter geiziger Fischer. Täglich legte er seine Netze im See aus und kehrte am Abend, mit reicher Beute beladen, in seine Hütte zurück. Der Verkauf der Fische brachte ihm stets guten Gewinn, und so war er mit der Zeit ein wohlhabender Mann geworden, der es nicht nötig gehabt hätte, über jedes nicht volle Netz in lauten Jammer auszubrechen. Aber er war unersättlich in seiner Gier nach Gewinn. Als nun der Fischreichtum des Sees allmählich nachließ, schob er die Schuld daran auf die Wasserfeen, die durch ihr Treiben die Fische verjagt hätten, und beschimpfte sie mit bösen Worten.
Eines Tages hatte er wieder sein Boot bestiegen und war das Seeufer entlanggefahren. Da bemerkte er in einer Bucht ein anmutiges Wesen, das sich vergebens bemühte, von der Stelle zu kommen. Als er näher heranruderte, erkannte er, daß es eine wunderschöne Wassernixe war. Sie hatte sich in einem seiner Netze verstrickt und bei ihren Anstrengungen, sich zu befreien, mehrere Löcher hineingerissen.
„Hilf mir aus dem Netz!“ bat sie flehentlich. „Sieben Tage und sieben Nächte bin ich hier schon gefangen, und es gelingt mir nicht, loszukommen. Meine Kinder weinen nach mir.“ Aber der Fischer hatte taube Ohren fĂĽr ihre Bitte. WĂĽtend, daĂź ihm die Fee die Fische verjagt und noch dazu das Netz zerrissen habe, stieĂź er mit seiner Gabel das Seeweib nieder, das ihm mit letzter Kraft noch zurief: „Sei verflucht fĂĽr deine ruchlose Tat! Nie sollst du die Deinen wiedersehen!“ Dann versank sie sterbend im See.
Höhnisch lachte der Fischer. Da erbebte der Seegrund, finstere Nacht brach herein. Heulend fuhr ein rasender Sturmwind in die glatte Fläche des Sees und rührte gewaltige Wogen auf. Die Windsbraut riß Fischer und Kahn in den offenen See hinaus, wo sich die tobenden Wellen über dem grausamen Mann schlossen, um ihn nie wieder herauszugeben.
Wenn an stillen Abenden dünne Nebelschleier das flüsternde Röhricht des Sees bedecken, hört man wohl ferne ein leises Plätschern und Knirschen im See. Es ist der verdammte Fischer, der sein Boot mit müder Hand dem Ufer zusteuert. Doch umsonst ist sein Bemühen, der Kahn weicht nicht von der Stelle, und es gelingt ihm nie, den rettenden Strand zu erreichen.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich, o. A., o. J., Seite 224